Als Erbe der radikalen Aufklärung, die die Blasphemie als Kunstform nutzte, um die Macht der religiösen Institutionen zu brechen. Als Erbe der revolutionären Kritik, die deklarierte: »Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.« Und eben nicht als zu verdammendes, zu ächtendes, die religiösen Gefühle unterdrückter Communities verletzendes, islamophob-rassistisches Sakrileg, das manchmal schwerer wiegt als das Leben des Kritikers, der im Zweifelsfall ermordet wird.
(Bernd Beier heute in der Jungle World)
Der Anlaß: Die muslimische Autorin und Religionspädagogin Lamya Kaddor mit Wurzeln im westfälischen Oberzentrum Münster hat sich aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Sie sagte gerade in einem Interview im DLF, seit dem Erscheinen ihres Buches über Einwanderung habe sie Morddrohungen und so viele Hassbriefe wie noch nie erhalten – vor allem aus rechten Kreisen.
a) Lamya Kaddor, deren Kenntnisse des Korans offensichtlich nur oberflächlich sind, benötigt den Konflikt zwischen „den Muslimen“ und „den Deutschen“, um die Mogelpackung von ihrem liberalen Islam verkaufen zu können. Ihr Geschäftsmodell lebt davon, dass Deutsche „islamfeindlich“ und Muslime „radikal-fundamentalistisch“ sind.
b) So sind sich Mazyek (Zentralrat der Muslime in Deutschland) und Kaddor (LIB) selbst dann, wenn sie um die gleichen Töpfe rangeln, immerhin in einem einig: Islamkritik verstößt gegen das Grundgesetz, ist deshalb rechtsradikal und damit zwangsläufig rassistisch. Beide Vereinsmeier möchten gern für sich einen quasi rechtsfreien Raum organisieren, der vor Angriffen und Kritik durch Mitbürger vom Staat mit allen denkbaren Mitteln zu schützen ist.
c) Der renommierte Islamwissenschaftler Rainer Brunner von der Universität Freiburg stellt fest: „Man will hier einen aufgeklärten Islam europäischen Zuschnitts etablieren, ohne dass es dafür im Augenblick sichtbar irgendwelche strukturellen und personellen Voraussetzungen gibt. An deutschen Universitäten sollen zukünftig nicht nur Imame ausgebildet werden, sondern gleichzeitig auch Kompetenzen in Sozial- und Integrationsarbeit den zukünftigen Imamen vermittelt werden. Dadurch betreibt man eine weitgehend entsäkularisierte Islamisierung der Integrationsdebatte.“ Mit anderen Worten: Personen wie Kaddor organisieren mit ihrem unwissenschaftlichen Tun jenseits jeglicher theologischen Basis am Ende genau jene Radikalisierung der deutschen Muslime, die sie vorgeblich verhindern wollen.
d) Hinter Kaddors LIB nun steht aber weder Liberalismus noch deutsches Säkularitätsverständnis, sondern fundamental-islamischer Unfehlbarkeitsanspruch, dem selbst sämtliche staatlichen Organe zu dienen und sich zu unterwerfen haben.
(a-d und viel mehr bei Tomas Spahns schönem Artikel mit Bezug zum Münsteraner „Centrum für religiöse Studien“ und Kaddors Verein „Liberal-islamischer Bund“ LIB)
In Berlin ist in den letzten Jahren entlang der Kantstraße zwischen dem Bahnhof Zoo und dem Stutti eine „China-Town“ entstanden, und die Berliner haben es nicht einmal bemerkt. Denn in dieser Gegend wird niemand bedroht, der ein Kreuz um den Hals oder eine Kippa auf dem Kopf trägt. Keine Scharia-Polizei zieht dort ihre Runden, und jeder, der ein Lokal betritt, kann selbst entscheiden, ob er ein Bier oder einen Apfelsaft trinken möchte. Diese Einwanderung stellt kein Problem dar, sie produziert keine Probleme und ist eine Bereicherung für das Land.
Man hört auch kaum etwas von Vietnamesen, die sich am Rande eines Volksfestes in die Luft sprengen, weil sie traumatisiert wurden, oder von Russen, die ihre Art, Tee zu trinken (aus der Untertasse, mit einem Stück Würfelzucker zwischen den Zähnen) für die einzig richtige halten und sie deswegen anderen aufzwingen möchten. Die Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Frau Lamya Kaddor, die sich das Label „liberal“ umgehängt hat, ist in ihrer genuinen Dummheit durch nichts zu erschüttern. Jeder Fahrlehrer, aus dessen Fahrschule fünf Dschihadisten hervorgegangen wären (wie aus ihrer Erziehungstätigkeit), hätte seine Lizenz längst zurückgegeben, wenn sie ihm nicht entzogen worden wäre. Frau Kaddor aber schulmeistert weiter, nicht nur in der Schule, sondern auch im Fernsehen, über das Deutschsein heute und in der Zukunft.
(Henrik M. Broder in seiner typischen und immer gerne auch polemischen Art, seine Perspektive auf die Welt in die Welt zu tragen. I like.)
Wie aber liest sich das Thema aus der Perspektive kritischer Theorie? Mit Zuhilfenahme der historischen Analysen von etwa Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Ernst Fraenkel und Naumann. Jan Huiskens hat ein Prolegomena zur kritischen Theorie der islamistischen Bedrohung vorgelegt, das ich im Folgenden durch (viele) ausgewählte und z.T. blank aneinandergesetzte Zitate darstellen will. Wem die Richtung plausibel ist, dem empfehle ich jedoch die Gesamtlektüre des viel weiter ausholenden Textes bei Prodomo von Jan Huiskens.
Wie sind Ursprung und Wesen des Islamismus kritisch zu bestimmen? Jeder militär- und sicherheitspolitischen Antwort liegen – ob bewusst oder nicht – gesellschaftstheoretische Annahmen zugrunde. Es ist Aufgabe kritischer Gesellschaftstheorie im Angesicht des globalen Terrors, diese oft impliziten Annahmen kenntlich zu machen und zu überprüfen. Islamismus wird dabei vorläuig im ganz breiten Sinne als eine globale totalitäre Bewegung verstanden, die in der islamischen Tradition verwurzelt ist, sich aus staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren zusammensetzt und die unter Einschluss von Gewaltmitteln die Welt in eine gottgewollte Ordnung zu verwandeln versucht.
Der politische Islam, oder zumindest dessen militante Speerspitze, hat der westlichen Zivilisation und allem, was mit der Chiffre der Verwestlichung verbunden ist, den Krieg erklärt und will jene ganz offensichtlich mit Blut und Eisen vernichten. Nicht nur haben die nicht abreißenden Terroranschläge neben den tausenden Ermordeten und Verletzten den Alltag in den Metropolen nachhaltig verändert, weil der Krieg jederzeit plötzlich in das Leben der Einzelnen einbrechen kann, sondern islamistische Banden verüben im Nahen Osten und Nordafrika regelrechte Genozide. Dazu kommt in Europa die aktive Schaffung von islamischen Parallelgesellschaften, die als Humus für den Terror dienen. Diese Gemeinschaften, wiederum durchwirkt mit kleineren islamistischen Zellen und protoislamistischen Gangs, sind durch Tugendterror, sexuelle Ausbeutung, soziale Verrohung und patriarchale Unterdrückung gekennzeichnet. Die Insassen dieser, gewissermaßen, gated communities sind stetig anschwellender Hasspropaganda ausgesetzt, die weniger in den Moscheen als vielmehr über das Internet in die Köpfe der Gläubigen gehämmert wird. Last but not least gibt es einen mehr oder weniger offenen Krieg der Islamischen Republik Iran und ihren Verbündeten Hamas und Hisbollah gegen Israel, der bald aller Voraussicht nach eine nukleare Dimension erhält. Kurz: Die Situation ist gruselig und wer meint, das alles gehe ihn oder sie nichts an, irrt.
Politische Rücksichten überlagen die nüchterne Analyse, aber mehr noch: die Angst, als Rassist abgestempelt zu werden oder den falschen Leuten den Rücken zu stärken, haben dazu geführt, dass sich an den deutschen, europäischen und auch nordamerikanischen Universitäten eine systematische Ignoranz gegenüber der islamistischen Bedrohung durchgesetzt hat. Ein weiterer Grund für diese desolate Situation sei nicht unerwähnt gelassen: Der Islamismus ist so erfolgreich darin, Angst und Schrecken zu verbreiten, dass so mancher bereits vorauseilend kapituliert. Es gibt also gerade in der Wissenschaft eine gefährliche Mischung aus Political Correctness, Verdrängung und politischen Interessen, die eine nüchterne Bestandsaufnahme verunmöglichen. In einer neueren Publikation des Bundesamtes für Verfassungsschutz heißt es dementsprechend, „nicht der Islam als Religion ist Gegenstand der Beobachtung und auch nicht die Muslime als Glaubensgemeinschaft“, sondern „Ausgangspunkt kann insofern immer nur die extremistische Struktur selbst sein“. Mit anderen Worten: Der soziale und kulturelle Kontext, der dem Islamismus den Weg ebnet, wird aus politischen Gründen ignoriert. Dass der Islam von seiner Grundanlage her die Unterscheidung in religiöse und politische Gebote nicht kennt und es insofern zunächst darauf ankäme, die islamische Tradition gleichsam politisch zu entschärfen, will der deutsche Staat nicht erkennen: Es wird einfach dekretiert, dass Islamismus und islamische Religion wesensfremd seien und sich damit angemaßt, besser zu wissen, was der Islam ist, als die großen Gelehrten in Kairo oder Qom. Ein nüchterner Blick müsste zur Konsequenz haben, die islamische Tradition ebenso wie die islamische Kultur selbst als Bedingung eines islamischen Extremismus zu identiizieren und dementsprechend jene zu fördern, die mit dieser Tradition brechen. Dazu fehlt der Mut. Interessant wird es aus Sicht des Staates nämlich erst, wenn die Bombe bereits tickt; wenn es eine „extremistische Struktur“ gibt, die unmittelbar Anschläge vorbereitet.
Etwas verallgemeinernd kann man sagen, dass es drei Arten der ‚Feindanalyse‘ (nach dem Vorbild Herbert Marcuses) gibt: Die ausländerfeindliche, die relativierende und die historisierende: 1. AfD und Co. Hier wird zumeist suggeriert, es gehe um eine Kritik des Islamismus sowie dessen Eingebettetsein in die islamische Alltagskultur. Faktisch aber dient jedes scheinbar islamkritische Argument nur dazu, das Ressentiment, die vorab feststehende Xenophobie und den ostzonalen Futterneid zu rationalisieren. 2. Die ursprünglich vor allem von linken oder linksliberalen Publizisten vertretene Analyse besagt, dass es gar keinen genuinen Zusammenhang zwischen Islam und Terror gebe. Wie bereits am Zitat aus der Verfassungsschutz-Broschüre zu sehen war, hat sich diese These mittlerweile vom linken Dunstkreis gelöst und schlägt sich in offizieller Politik nieder. Islamischer Terrorismus sei dabei nur eine Spielart des Fundamentalismus, der auch auf jüdischer und christlicher Seite zu finden sei. Der Islamismus sei letztlich weniger eine islamisch-religiöse Bewegung als vielmehr „Symbol eines gewaltförmigen und in Teilen transnationalen Widerstands gegen die durch die Globalisierung vorangetriebene Verschärfung der sozialen Antagonismen und gegen die neo-imperiale Inbesitznahme des Planeten“. 3. Die dritte Variante der Feindanalyse wäre als die „westliche“ oder „historisierende“ zu bezeichnen, weil sie unter dem Stichwort „Islamfaschismus“ die Konstellation des Zweiten Weltkriegs wieder aufruft, um den Krieg des Islamismus gegen den Westen vor dem historischen Passepartout der Vergangenheit zu erklären. Die in Deutschland neben Hamed Abdel Samad wohl bekannteste Stimme dieser historisierenden These ist Josef Joffe, der Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“. Bereits 2004 schrieb er anlässlich der verheerenden Anschläge in Madrid einen Leitartikel mit dem Titel ‚Die Ofensive des Islamo-Faschismus‘. In Richtung der Apologeten und Relativierer fragte er: „Was aber, wenn der Islamo-Terror den Dialog gar nicht will, wenn seine Triebfedern nicht Ungleichheit und Unterentwicklung sind?“ Joffe gab die Antwort, dass die Apologeten die Augen vor dem realen Wesen des Islamismus verschlössen und einfach nicht sehen wollten, dass es sich um eine moderne faschistische Bewegung handele: „Der Schlüsselsatz lautet: ‚Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod‘. Ist das die Botschaft des Propheten? Der hat laut Koran allerlei Blutrünstiges gesagt, aber derlei Sprüche kann man sich auch aus der Bibel herausklauben […]. ‚Ihr liebt das Leben, wir den Tod‘, ist eine sehr moderne, sehr säkulare Parole. Es ist die Rückkehr des angeblich so kurzen 20. Jahrhunderts, das scheinbar 1989 mit dem ‚Ende der Geschichte‘ aufhörte, wie Paul Berman in ‚Terror und Liberalismu’s notiert. Es ist eine Kernaussage des europäischen Totalitarismus in seiner bolschewistischen, faschistischen und nazistischen Prägung. Es ist die Botschaft des modernen Nihilismus, der zwar die Erlösung im Namen von Klasse oder Rasse gepredigt, dabei aber eine unauslöschliche Blutspur durch Europa und Asien gezogen hat, mit Abermillionen von Toten. Auf diesem Weg gab es keinen ‚Dialog‘ nur Massenmord. Nennen wir’s nicht ‚Islamismus‘ oder ‚Dschihadismus‘, sondern ‚Faschismus‘ ohne Duce oder Führer.“ Dagegen helfe keine Beschwichtigung und kein Dialog, sondern nur die polizeiliche, nachrichtendienstliche und militärische Bekämpfung.
Man könnte also sagen: Die historisierende These ist nicht nur die plausibelste, sondern auch die sympathischste, insofern sie die Verteidigung individueller Freiheitsrechte ins Zentrum stellt und der Todes- und Vernichtungsideologie eine rückhaltlose Absage erteilt. Doch wie verhält es sich mit der neokonservativen Islamfaschismus-These? Schon der oben zitierte Ausschnitt zeigt, dass es Joffe mit dem Begrif „Faschismus“ nicht so genau nimmt und er im Stile schlechten Antitotalitarismus munter Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus durcheinander würfelt. Wenn das Motiv der Vernichtung ernst genommen werden soll, läuft aber alles auf die Analogie zum Nationalsozialismus hinaus, denn der Holocaust steht nun mal wie kein anderes Ereignis der Weltgeschichte für die Vernichtung um ihrer selbst willen. Für eine Begriffsfindung für Islamismus kann provisorisch auf den Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber zurückgegrifen werden, der seit über zwanzig Jahren die Feindanalysen für das Bundesamt für Verfassungsschutz liefert: – Absolutsetzung des Islam als Lebens- und Staatsordnung – Gottes- statt Volkssouveränität als Legitimationsbasis – der Wunsch nach ganzheitlicher Durchdringung und Steuerung der Gesellschaft – homogene und identitäre Sozialordnung im Namen des Islam – Frontstellung gegen den demokratischen Verfassungsstaat – Potential zu Fanatismus und Gewaltbereitschaft.
Ernst Fraenkel beobachtete in senem Buch „Der Doppelstaat“, das noch vor dem Holocaust, genauer gesagt: zwischen 1936 und 1938 in Deutschland verfasst und erstmals 1940/41 auf Englisch als The Dual State: A Contribution to the Theory of Dictatorship veröffentlicht wurde, dass das nationalsozialistische System, das er als Diktatur bezeichnete, einen fundamentalen Doppelcharakter aufweise: es handele sich zum einen um einen Normenstaat, d.h. ein „Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet ist, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck gelangen“. Zum anderen aber handele es sich beim Nationalsozialismus um einen „Maßnahmenstaat“, d.h. ein „Herrschaftssystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt ist“. Zusammen ergäben Normen- und Maßnahmenstaat eben jenen Doppelstaat, wobei Fraenkel bereits betonte, dass der Maßnahmenstaat im Konliktfall das letzte Wort hat. Er wies daraufhin, ass schon bei der Entstehung des Normenstaates in der Weimarer Republik die Gültigkeit von Normen von Rechtstheoretikern wie Carl Schmitt und Carl Bilinger unter den prinzipiellen Vorbehalt gestellt wurde, dass der Staat das Recht im Ausnahmezustand suspendieren könne. Insofern ist das nationalsozialistische Verhältnis zum Recht rein instrumentell zu verstehen, die von Horkheimer diagnostizierte „Resistenzkraft des Rechts“ 1933 bereits weitgehend kassiert. Fraenkels Beobachtungen sind auch deshalb bedeutsam, weil sie die wenig hilfreiche, positivistische Frage „Rechtsstaat oder Unrechtsstaat?“ zurückweisen und stattdessen nach dem spezifischen Charakter, der Funktion und dem Gültigkeitsbereich des Rechts fragen. Betrachtet man das Rechtsverständnis im Islamismus, so lässt sich sagen, dass die shari’a als letztlich auf Gott zurückgehendes Normensystem einer islamischen Variante des Normenstaates entspricht. Dabei ist zu beachten, dass die shari’a nicht als solche im heiligen Buch der Muslime kodiiziert ist, sondern durch die ulema, also die Rechtsgelehrten vermittelt und zum Rechtssystem, auf Arabisch: iqh, ausgebaut worden ist. Im Islamismus ist die Instrumentalisierung der shari’a für außerhalb des islamischen Rechts liegende Zwecke strikt untersagt – einen Doppelstaat im Sinne Fraenkels kann es daher in islamistischer Form nicht geben. Auch das durch Auslegung geschaffene Rechtssystem, wie es von den Rechtsschulen historisch auf Basis von Koran und Sunna entwickelt wurde, gerät teilweise ins Visier der Islamisten, insofern diese im iqh auch immer wieder Abweichungen von der gottgewollten Ordnung wittern, die sich durch innerislamische Korruption, Sittenverfall und jüdische Manipulation eingeschlichen hätten. Es geht also um die reine Realisierung des islamischen Normenstaates. Aber, und das ist entscheidend, der Charakter dieses Normensystems, dieses Fundamentes, wenn man so will, ist ein anderer: Während das positive, rationale Recht im Westen seinen Grund in der kapitalistischen Produktionsweise hat, die Rechtsgleichheit also gewissermaßen eine Funktion des Äquivalententausches ist, ist der Zweck der chronologisch im europäischen Mittelalter entstandenen shari’a nicht die gelingende Mehrwertakkumulation, sondern die Einrichtung jener gottgewollten Ordnung. Diese Ordnung impliziert einschneidende Unterscheidungen, weshalb es nur logisch ist, dass das islamische Recht die fundamentale Ungleichheit zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen festschreibt: zwischen Frauen und Männern, zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen Freien und Sklaven.
Es gibt nun faktisch aber in islamischen Ländern ein Nebeneinander von islamischem und westlichem Recht. Die Islamisten kämpfen darum, diese Doppelstaatlichkeit aufzuheben. Gelten soll nur noch die shari’a. Da es keine islamische Kirche gibt, sondern nur mehr oder weniger autoritative Rechtsgelehrte – für den sunnitischen Islam wäre das die Ulema der al-Azar-Universität –, sind der Willkür im Grunde Tür und Tor geöfnet: und „Willkür“ bedeutet, materialistisch aufgefasst, selbstverständlich immer, dass die Dynamik der Gesellschaft und ihre Triebstruktur in den Blick genommen werden muss, also das, was gewöhnlich unter dem Begrif „Kultur“ verstanden wird. Diese „Kultur“ ist zum einen in die objektiven Tendenzen des Weltmarktes eingebunden, zum anderen aber bis zu einem gewissen Grad auch ihm gegenüber unabhängig und in die Vorgeschichte ausgreifend. Diese Verselbständigung islamischer Kultur unter den Bedingungen des Spätkapitalismus findet auch im Normensystem und deren rechtlichen Konsequenzen Ausdruck. In Gesellschaften, in denen die Rechtsgarantien schwach sind, wie in der islamischen Welt, ist auch die Resistenzkraft des Rechts geringer, d.h. das Recht passt sich viel schneller Kulturalisierungs- und Rearchaisierungsprozessen an. Die Rechtspraxis reduziert sich auf die Frage der Gewalt.
Der deutsche Staat mag noch so abhängig von der Industrie sein, aber er legt ihr Ketten an, sollte sie allzu sehr den sogenannten sozialen Frieden stören. Und das staatliche Personal, angefangen vom einfachen Gerichtsdiener bis zum Bundespräsidenten, unterliegt denselben Normen wie jeder andere Bürger. Diese relative Unabhängigkeit des Rechtsstaates gegenüber sowohl partikularen Gemeinschaften als auch mächtigen Einzelpersonen ist im Islamismus gerade nicht gegeben: Islamistische Gruppen streben danach, das Kalifat auszurufen, also selbst den „Islamischen Staat“ anzuführen. Haben sie Erfolg, richtet sich die Gewalt zuallererst gegen ihre Konkurrenten, erst dann gegen Minderheiten. Im Kontext des Islamismus ist vor allem wichtig, dass die Allgemeinheit, für die dieser steht, einzig die totale Unterwerfung unter eben nicht menschliche, sondern göttliche Anweisungen ist. Sollten die Unterworfenen Muslime sein oder zum Islam konvertieren, so werden sie wie die arischen Volksgenossen für ihr Zugehörigsein belohnt, aber es handelt sich tatsächlich um eine Loyalität einfordernde Belohnung, um Anteil an Beute, nicht um einen über Warentausch vermittelten, weitgehend anonymen Anteil am gesellschaftlich erzeugten Reichtum. Der Unterschied zwischen Islamismus und Nationalsozialismus, den man mit Neumanns Monopolkapitalismusthese in den Blick bekommt, ist der Unterschied zwischen einer ölrenten- und beutebasierten Ökonomie einerseits und einer Industriegesellschaft andererseits. Den nationalsozialistischen Schaffenskult teilt der Islamismus explizit nicht: Noch immer ist der Iran für seine Ausbeutung von Naturstoffen – also dem, was Gott willkürlich in den Boden gesetzt hat – auf Industrieprodukte und Raffinerien aus dem Westen angewiesen. Verhängte man ein Öl-Embargo gegen den Iran, er hätte nach 30 Tagen kein Benzin mehr, um seine europäischen Militärjeeps zu bewegen. Am fortgeschrittensten ist bezeichnenderweise die iranische Militärtechnologie, das teuerste Projekt ist mit Abstand das Atomprogramm. Hier geht es aber nicht um produktive, sondern um destruktive, wenn man so will: jihadistische Technologien. Auch der IS lebt maßgeblich von dem, was seine Vorgänger hinterlassen haben sowie Drogenschmuggel und Lösegelderpressungen. Die Hamas verteilt ihre Spendengelder und EU-Prämien großzügig über Suppenküchen und Märtyrerprämien an ihre Anhänger aus, und die afghanischen Taliban leben größtenteils von Wegelagerei und Drogenhandel.
In der islamistischen Ideologie ist der Zins verboten und als „jüdisch“ verpönt, auch wenn er selbstverständlich in der islamischen Welt unter Decknamen wie ijarah ebenso eine wichtige Funktion innehat. Die Brechung der Zinsknechtschaft, die bereits im NSDAP-Parteiprogramm festgehalten ist, ist also eine antisemitische Forderung, die sich Islamisten umstandslos zueigen machen können. Zum einen werden Genuss und materielles Glück als Laster gekennzeichnet, die den wahren Glauben unterminierten; zum anderen sitzt der Islamismus, und das ist alles andere als spezifisch, dem Kapitalfetisch auf: Er kann sich nicht erklären, wie aus einem äquivalenten Tausch ein Überschuss entstehen kann, oder, mit Marxschen Worten, wie durch gerechten Tausch aus Geld mehr Geld werden kann. Er wittert dahinter, wie auch Gesellianer und andere Sozialreformer, Magie, Betrug und letztlich jüdische Machenschaften. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ ist ebenso ein Nazi-Slogan wie ein Grundsatz des Islamismus. Grundsätzlich aber ist das Ziel des Islamismus die Alimentierung einer Wehrgemeinschaft, nicht das Streben nach individuellem Glück.
Die lange islamische Tradition der Judenfeindschaft, die für jeden Islamismus essentiell ist und ohne die er nicht verstanden werden kann, ist von besonderem Interesse. Gerade indem der Islam, verstanden als Kultur und Tradition, den Einzelnen ganz in die Plicht der Umma nimmt und von ihm das unbedingte Opfer verlangt, knüpft es an das urzeitliche Menschenopfer an, anstatt mit Unterdrückung und Ausbeutung zu brechen. Wenn sich individuelle Ohnmacht und der sprichwörtliche orientalische Fatalismus scheinbar in die Omnipotenz der von Allah geschützten Gemeinschaft verwandeln, gibt es immer nur eine Antwort auf die Frage nach der Ursache für die fortgesetzt individuell erfahrene Ohnmacht: Schuld sind die Juden.
Der Islamismus ist eine moderne politische Bewegung, die fest in der islamischen Alltagskultur und der islamischen Tradition verwurzelt ist und diese als Gegenmodell zur westlichen, bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform totalisieren, zuspitzen und auf ihr authentisches Fundament zurückführen will. Es handelt sich hierbei um eine rearchaisierende, moderne Krisenlösungsstrategie, die eine umfassende Sinnstiftung bereithält. Dadurch ist der Islamismus anziehend wie derzeit keine andere Bewegung, und zwar nicht nur für Muslime.
Ich unterfertige als gekürzt habender Vervielfältiger.